Kinder brauchen Märchen zum Einschlafen,
Erwachsene brauchen sie, um aufzuwachen.
aus diesem Grund möchte ich auch das ein oder andere »Märchen« mit einer inspirierenden Wende veröffentlichen.
Dankbar bin ich sehr der Idee von Inge Wutthe, welche das Märchen von der traurigen Traurigkeit ins Leben schickte.
Das Märchen von der kranken Gesundheit
Am Rand eines belebten Parks, auf einer halbverwilderten Bank, saß eine Gestalt. Sie war hager und blass, trug ein blendend weißes Gewand, das viel zu groß wirkte, und starrte mit leerem Blick auf ihre sauberen Hände. Niemand nahm Notiz von ihr, obwohl sie mitten im Weg saß – als sei sie unsichtbar.
Nur eine gebeugte, freundliche Frau mit einem dicken Schal und müden Augen blieb stehen. Sie beugte sich vorsichtig zu der Gestalt hinunter.
„Verzeih, aber… wer bist du?“
Langsam hob die Gestalt den Kopf. Ihre Augen waren klar, aber müde, wie Wasser, das zu oft gekocht worden war.
„Ich… ich bin die Gesundheit“, sagte sie mit brüchiger Stimme.
„Die Gesundheit?“, fragte die Frau verwundert, „so stelle ich mir Gesundheit aber gar nicht vor.“
Die Gestalt nickte traurig.
„Nein… So stellen sich mich die meisten nicht vor.“
Die Frau setzte sich neben sie auf die Bank.
„Und warum bist du dann so… bedrückt? Gesundheit ist doch etwas Schönes, etwas Starkes. Etwas, wonach sich alle sehnen.“
Die Gestalt schwieg einen Moment. Dann flüsterte sie:
„Weil ich traurig bin. Weil sie mich missverstehen.“
„Wer?“, fragte die Frau sanft.
„Die Menschen“, sagte die Gesundheit und schaute zu Boden. „Sie haben mich zu etwas gemacht, das ich nicht bin.“
Die Frau runzelte die Stirn.
„Wie meinst du das?“
Die Gesundheit seufzte.
„Sie jagen mir hinterher, als wäre ich ein Ziel, ein Zustand aus perfekten Körpern, straffer Haut und kontrollierten Kalorien. Sie treiben mich durch Fitnessstudios, zwängen mich in Apps und Nahrungsergänzungsmittel, messen mich in Schritten, Schlafzyklen und Blutwerten. Und wenn sie mich glauben zu haben, sperren sie mich ein wie einen Pokal im Schrank. Aber sie… sie hören nicht mehr auf mich.“
„Worauf sollen sie hören?“, fragte die Frau leise.
„Auf das, was ich wirklich bin“, antwortete die Gesundheit. „Ich bin nicht nur der Körper. Ich bin auch die Pause. Das tiefe Atmen. Die Erschöpfung, die sagt: ‚Leg dich hin.‘ Ich bin das Nein, das man sagen darf. Die Träne, die fließen muss. Ich bin die Angst, die sich zeigen will, damit sie gehen kann. Ich bin die Ruhe inmitten der Unruhe. Aber das mögen sie nicht. Sie nennen mich krank, wenn ich weich bin. Und stark, wenn ich lüge.“
Die Frau schaute sie lange an.
„Du bist traurig, weil man dich nur liebt, wenn du funktionierst.“
Die Gesundheit nickte.
„Ja. Und wenn ich leise werde, wenn ich warne, wenn ich erschöpft bin – dann greifen sie zu Pillen, zu Coachings, zu Durchhalteparolen. Sie sagen ‚Reiß dich zusammen‘, und dann reißt etwas in ihnen. Sie sagen: ‚Ich muss nur mehr Disziplin haben‘, und verlieren sich selbst. Sie sagen ‚Ich habe keine Zeit, krank zu sein‘ – und werden es doch. Erst im Herzen. Dann im Blut. Dann in der Seele.“
Die Frau schwieg einen Moment, dann legte sie sanft ihre Hand auf die der Gestalt.
„Ich glaube, ich habe dich lange Zeit auch falsch verstanden. Ich dachte, Gesundheit sei, wenn man nichts spürt. Aber vielleicht… ist Gesundheit genau das: Wenn man sich selbst wieder spürt.“
Die Gestalt hob langsam den Blick. Zum ersten Mal war ein leiser Schimmer in ihren Augen.
„Ja… Vielleicht bin ich nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Einladung zur Nähe.“
Die Frau lächelte.
„Dann ist deine Traurigkeit eine Einladung, genauer hinzusehen.“
Die Gesundheit legte den Kopf schief.
„Und wer bist du?“, fragte sie vorsichtig.
Die Frau erhob sich langsam, wickelte ihren Schal fester und sah zum Himmel, wo sich die Wolken sanft lichteten.
„Ich bin die Achtsamkeit“, sagte sie, „und ich werde dich ab jetzt ein Stück begleiten.“
✨ und die Moral von der Geschicht‘:
Gesundheit ist nicht, wenn alles funktioniert.
Gesundheit ist, wenn du dich selbst nicht verlierst,
während du versuchst, stark zu wirken.Manchmal zeigt sie sich gerade dann,
wenn du dir erlaubst, schwach zu sein.Wer auf sie hört, bevor sie schreit,
lebt nicht nur länger –
sondern echter.
Mit dem Absenden eines Kommentars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten gemäß unserer Datenschutzerklärung einverstanden.