Was hat Yoga mit Befreiung zu tun?
Zum Ende meiner 4-Jährigen Yogalehrer Ausbildung geörte es dazu eine YogaArbeit zu verfassen. Sie bestand aus einem Fragenkatalog mit Pflicht- und FakultativFragen.
Einen Auszug daraus kannst du hier nachfolgend lesen.
Es geht um die Befreiung im yogischen Sinne, dabei gehe ich auf drei wesentliche Konzepte aus dem Yoga-Sūtra ein.
Was verstehst du unter Befreiung und wovon sollen wir befreit werden?
In die Klarheit und so zur Ganzheit gelangen
ॐ असतो मा सद्गमय
तमसो मा ज्योतिर्गमय
मृत्योर्मा अमृतं गमय
ॐ शान्तिः शान्तिः शान्ति
Om Asatō mā sadgamaya
tamasō mā jyōtirgamaya
mṛtyōrmā amṛtaṁ gamaya
Om śānti śānti śāntiḥ
«Führe uns vom Unwirklichen zur Wahrheit,
von der Dunkelheit zum Licht,
von der Sterblichkeit zum ewigen Leben.»
Unter Befreiung verstehe ich einen Vorgang aus einem Zustand, einer Situation, in der es mir nicht gut geht, ich gefangen bin, ich womöglich leide, ich sprichwörtlich gefesselt bin. Dabei empfinde ich es mitunter als sehr subtilen und nicht immer klaren Zustand – das heißt wir sind uns unseres Leides nicht immer (allumfänglich) bewusst. Es sind sozusagen störende Kräfte oder auch Schleier (kleśas), die unseren Geist trüben oder verdunkeln. (avidyā). Es fehlt an Klarheit und Licht.
Wohingegen unser Körper sehr wohl speichert und wir so die Möglichkeit haben dies aufzulösen. Wir wollen uns gern befreien von allem was uns Leid schafft. Wir wollen wortwörtlich heilen. Diese Fähigkeit ist in jedem von uns angelegt und mehr oder minder vergraben. Schätze die geborgen werden können.
Das Yoga-Sūtra ist dabei eine wunderbare Schatzkarte. Es gibt den Weg vor auf welchem das Ziel erreicht werden kann. Ein wesentliches Ziel ist es Leid zu vermeiden – sich zu befreien von allem was leidvoll an uns haftet oder an dem wir leidvoll anhaften. Sich von Leid zu befreien bedeutet Klarheit schaffen. Innere Ruhe schaffen. Wie wir diese Klarheit erreichen können dazu gibt uns das Yoga-Sūtra eine Vielzahl an Hinweisen wie z.B. die Kleśas (störende Kräfte), antarāyās (Hindernisse) und bhāvanās (innere Einstellung) – die Ausprägungen und die Möglichkeiten unseres Geistes.
Im Yoga-Sūtra werden fünf Kleśas genannt:
अविद्यास्मितारागद्वेषाभिनिवेशाः क्लेशाः
avidyāsmitā-rāga-dveṣābhiniveśāḥ kleśāḥ
Yoga-Sūtra 2.3
- avidyā (Nichtwissen, Unwissenheit)
- asmitā (Identifizierung, Ego, Ich-Gefühl)
- rāga (Mögen, Zuneigung, Gier)
- dveṣa (Nichtmögen, Abneigung, Vorurteil)
- abhiniveśa (Anhaften am Leben, Todesfurcht)
Diese fünf Kleśas werden als Hauptursachen, als Wurzeln jedwedes menschlichen Leidens betrachtet. Sie sind Faktoren der Fremdbestimmung, Faktoren über die wir uns, unser Selbst, definieren. Wir meinen dies und jenes zu sein, oder dies und jenes zu brauchen um glücklich zu sein. Das Bestreben und das Ziel ist es, sich davon zu lösen oder aufzulösen.
Die bhāvanās sind unsere inneren Fähigkeiten, die mehr oder minder bewusst in uns wohnen und unserem Umgang mit unserem Umfeld aufzeigen. Diese zu pflegen und zu leben, schafft nicht nur ein gutes Gefühl, sondern sorgt auch für Klarheit. Auch bringen sie uns einen Schritt näher aus der Dualität welche in der Welt ist, mehr zur Nondualität, mehr zu Einheit.
मैत्री करुणा मुदितोपेक्षाणांसुखदुःख पुण्यापुण्यविषयाणां भावनातः चित्तप्रसादनम्
maitrī karuṇā mudito-pekṣāṇāṁ-sukha-duḥkha puṇya-apuṇya-viṣayāṇāṁ bhāvanātaḥ citta-prasādanam
Yoga-Sūtra 1.33
- maitrī (Freundlichkeit, Liebe)
- karuṇā (Mitempfinden, Mitgefühl)
- mudita (Begeisterungsfähigkeit)
- upekṣāṇāṁ (verständnisvolles Abstandhalten)
- sukha viṣaya (glückliche Situation)
- duḥka viṣaya (unglückliche Situation)
- puṇya viṣaya (Erfolgssituation [des anderen])
- apuṇya viṣaya (Misserfolgssituation [des anderen])
Sehr intensiv und nachhaltig wirken die antarāyas auf unseren Geist, unseren Körper. Sie fordern uns dazu auf genauer – tiefer – hinzuschauen.
व्याधि स्त्यान संशय प्रमादाअलस्याविरति भ्रान्तिदर्शनालब्धभूमिकत्वानवस्थितत्वानि चित्तविक्षेपाः ते अन्तराया
vyādhi styāna saṁśaya pramāda-ālasya-avirati bhrāntidarśana-alabdha-bhūmikatva-anavasthitatvāni citta-vikṣepāḥ te antarāyāḥ
Yoga-Sūtra 1.30
- vyādhi (Krankheit)
- styāna (Trägheit)
- saṁśaya (Unentschlossenheit)
- pramāda (Geringschätzung)
- ālasya (Faulheit)
- avirati (Unruhe)
- bhrāntidarśana (Verblendung)
- alabdha-bhūmikatva (mangelnde Zielstrebigkeit)
- anavasthitatvāni (Unbeständigkeit)
- citta-vikṣepāḥ te (dieser zerstreute, beunruhigte Geist)
- antarāyāḥ (Hindernisse)
Oftmals finden wir uns in Dualität und Polarität wieder. Mit uns, mit der Umwelt. Wenn wir uns auf diese Prozesse einlasen, gelangen wir in den Zustand der Einheit, der Klarheit und letztlich Freiheit. Auf diesem Weg lernen wir zu unterscheiden (viveka), uns hinzugeben und mit Gleichmut (vairagya) zu handeln. Helga Simon-Wagenbach hat es sehr treffend formuliert: «klarer Geist, weites Herz»